Botanische Entdeckungen im Valle Maira
Botanische Entdeckungen im Valle Maira | |||||||||||||
Text und Foto: Walter Dyttrich Zur Vergrösserung Bild anklicken! Das Valle Maira umfasst alle Höhenstufen von der kollinen Stufe am Taleingang bei Dronero (622 m) über die montane Stufe bei Acceglio (1220 m), die subalpine Stufe bei Campo Base am Talende (1650 m) bis zu den höchsten Erhebungen wie den Monte Oronaye (3'100 m) und Brec de Chambeyron (3'389 m) in der nivalen Stufe, wo ausser Flechten und Moosen nur wenige Blütenpflanzen überleben. Das Gebiet gehört zu den Cottischen Alpen, welche sich zwischen den Seealpen im Süden und den Grajischen Alpen im Norden erstrecken. Durch die Nähe zum Mittelmeer ist die Flora in den unteren Regionen stark mediterran beeinflusst. Für den Botaniker besonders interessant ist der Reichtum an endemischen Pflanzen vor allem in der alpinen Stufe. Endemiten sind Pflanzen, welche nur in einem mehr oder weniger grossen, begrenzten Gebiet vorkommen. Da die Alpen in den Eiszeiten fast völlig von Gletschern bedeckt waren, sind die meisten Pflanzen erst nach der letzten Eiszeit wieder eingewandert. In den Süd- und Südwestalpen, aber auch am Alpenostrand haben mehr Pflanzen die Eiszeit an schneefreien Stellen überlebt, bzw. konnten nach Süden ausweichen. Geologisch sind im Gebiet sowohl Kalk- als auch Silikatgesteine anzutreffen. Meine Wanderung vom Juli 2006 führte jedoch mehrheitlich durch Kalk, so dass die Pflanzenauswahl einseitig auf basische Böden konzentriert ist. |
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Hier die Route, von der die Pflanzenbilder stammen:
Von dieser Route habe ich eine Pflanzenliste von ca. 140 Arten (ohne Gräser, Seggen) "gesammelt", aus der ich einige Beispiele vorstelle: |
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In den Bergwiesen wächst sehr verbreitet die Pfauen-Nelke (Dianthus pavonius). Seltsamerweise heisst sie in manchen Büchern auch Übersehene Nelke (Dianthus neglectus). Diese 5 bis 15 cm hohe Pflanze hat meist nur eine Blüte pro Stengel, die Unterseite der Kronblätter ist grünlichgelb. |
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Allionis Ehrenpreis (Veronica allionii) ist ebenfalls häufig anzutreffen. Man erkennt ihn an der typischen Wuchsform: der Stengel kriecht zuerst waagrecht und wächst dann bogenförmig in die Höhe. Dem Namen Allioni begegnet man in den Südwestalpen auf Schritt und Tritt, deshalb ein kleiner Exkurs (gekürzt aus Wikipedia): "Carlo Allioni (1728 - 1804) war ein italienischer Arzt und Botaniker aus Turin. Sein wichtigstes Werk ist die Flora Pedemontana, eine Untersuchung der Pflanzenwelt im Piemont, in der er 2813 Pflanzenarten auflistet, darunter 237 bis dahin unbekannte. Er lehrte Botanik an der Universität Berlin und leitete den Turiner Botanischen Garten." |
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Die Einköpfige Flockenblume (Centaurea uniflora) ist ein weiteres Beispiel einer verbreiteten Wiesenpflanze. Auffallend ist ihre leuchtend rosarote Blüte mit den behaarten Hüllschuppen. Die Alpen-Betonie (Stachys pradica) unterscheidet sich von der gewöhnlichen Betonie durch ihre dichte Wuchsform und intensive Farbe. Sie blüht ebenfalls in mageren Bergwiesen. |
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Das kopfige Greiskraut (Tephroseris capitata) hat ein über den Alpenraum zerstückeltes Verbreitungsgebiet. Dies deutet darauf hin, dass die Pflanze die Eiszeit auf "Inselstandorten" überlebt hat. Im Gebiet haben wir sie nur einmal am Colle del Mulo gesehen. |
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Das Männertreu ist eine typische Pflanze der Bergwiesen. In den Südwestalpen kommt eine spezielle, sehr hell rosa bis weiss blühende (Unter)art vor, Cornelia Rudios Männertreu (Nigritella corneliana). Sie ist nach einer Genfer Botanikerin benannt, welche sie entdeckt/ beschrieben hat. Der Alpen-Süssklee (Hedysarum) ist in den ganzen Alpen weit verbreitet. Eine Spezialität der Südwestalpen ist der hell blühende Boutigny-Süssklee (Hedysarum boutignyanum). Wir fanden ihn in der Nähe des Passo della Gardetta. |
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An felsigen Hängen der montanen Stufe blüht die schmalblättrige Spornblume (Centranthus angustifolius), welche sich deutlich von der Roten Spornblume (Centranthus ruber) durch die Blätter unterscheidet. Aus der Familie der Leingewächse haben wir eine mediterrane Art gefunden, welche am Colle del Preit auf über 2'000 Metern wächst: den Halbstrauchigen Lein (Linum suffruticosum, ssp. appressum). |
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Der Rittersporn ist eine typische Art der Hochstaudenfluren. In den Südwestalpen und im Trentino kommt als Spezialität der Zweifelhafte Rittersporn (Delphinium dubium) vor. Er unterscheidet sich vom Hohen Rittersporn (Delphinium elatum) durch seine geringere Höhe (bis 100 cm) und die tief eingeschnittenen Blätter. Ausserdem blüht er fast 1 Monat früher als Delphinium elatum. |
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Was auf deutsch Veilchen oder Stiefmütterchen heisst, ist botanisch eine Viola. Das Langspornige Stiefmütterchen (Viola calcarata) ist meist blauviolett gefärbt. In den Südwestalpen kommen aber auch weisse, gelbe und mehrfarbige Varianten dieser Art vor. Sie werden zum Teil als eigene Unterarten angesehen (V. villarsiana, V. cavillieri). Pflanzen auf Geröllfeldern sind meist Spezialisten, welche sich an die unwirtliche Umgebung angepasst und weniger Konkurrenz zu befürchten haben als in den Wiesen. |
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Die letztgenannte Viola calcarata kommt auch im Geröll vor. Umgekehrt ist aber das Mont Cenis-Stiefmütterchen (Viola cenisia) nie auf Wiesen, sondern nur im Geröll anzutreffen. Die Blüte ist kleiner als Viola calcarata (maximal 2,5 cm) und "rundlicher". Am Passo di Rocca Brancia haben wir auch weisse Exemplare angetroffen. |
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Wenn man die zarten, kurzlebigen Blüten des Alpenmohns (Papaver auratiacum) sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass diese Pflanze als "Schuttstauer" bezeichnet wird. Sie ist aber mit einer starken Pfahlwurzel tief im Untergrund verankert. In den Alpen kommen mehrere gelb und weiss blühende Mohnarten vor, die Pflanze ist aber nirgends häufig. Sie bevorzugt wie auch die meisten anderen Schuttpflanzen eher nordseitig exponierte Geröllfelder. |
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Die Gattung Steinbrech (Saxifraga) kann zwar keine Steine brechen, aber man findet sie häufig in Felsspalten. Mit ihren langen Wurzel können sie Nährstoffe und Feuchtigkeit aus grosser Tiefe holen. Wir haben im Gebiet 2 seltene Steinbrecharten gefunden: den dickblättrigen Steinbrech (Saxifraga callosa) und den Waldenser Steinbrech (Saxifraga valdensis). Der erste blüht in grossen Blütenständen an den Felsen von La Meja, der zweite auf Geröll in der Gardetta-Hochebene. |
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Auch der Steinschmückel (Petrocallis pyrenaica) trägt den Fels schon im Namen. Die Pflanze ist kein Nelkengewächs, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern ein Kreuzblüt-ler. Sie kommt in den nördlichen und südlichen Kalkalpen sowie in den Pyrenäen vor und hat die Eiszeit auf schneefrei gebliebenen Stellen (sog. Nunatakker) überlebt. |
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Andere (gelb blühende) Vertreter aus der selben Familie der Kreuzblütler im Gebiet sind der Ausgebreitete Kohl (Brassica repanda), der Piemonteser Schöterich (Erysimum jugicola) und der Berg-Lacksenf (Coincya cheiranthos ssp. montanum). Alle 3 Arten sind in den Südwestalpen endemisch. |
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Der Lauch gehört zu den Liliengewächsen, und auch diese Gattung fühlt sich auf Geröll wohl. Neben dem häufigen wilden Schnittlauch (Allium schoenoprasum) wachsen in den südlichen Kalkalpen 2 wunderschöne rosa blühende Arten: der Insubrische Lauch (Allium insubricum) zwischen Comer- und Gardasee und der Piemonteser Lauch (Allium narcissiflorum) in den Südwestalpen, wo wir ihn auf dem Maira-Wanderweg mehrmals sahen. |
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Eine eindrückliche Schuttpflanze ist die Westalpen-Glockenblume (Campanula alpestris, früher C. allionii). Sie wird 3 bis 12 cm hoch, der Blütenkelch allein kann bis 4 cm lang sein! Ausser auf Geröll haben wir diese Campanula auf den Gipssandflächen in der Nähe des Passo della Gardetta verbreitet gefunden. |
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Die Läusekräuter (Gattung Pedicularis) blühen in den europäischen Gebirgen in verschiedenen Farben (rosa, gelb, weiss). Eine in den Südwestalpen endemische Art sahen wir am Passo di Rocca Brancia auf 2'600 Metern im Geröll: Allionis Läusekraut (Pedicularis rosea ssp. allionii). Nach dem feinen Essen im Valle Maira bekommt man häufig als Verdauungsschnaps einen Genipi angeboten. Dieser wird aus einer Pflanze der Gattung Artemisia (Schwarze Edelraute = Artemisia genepi) gewonnen, welche im Tal auch angebaut wird. Eine andere Art dieser Gattung ist die Gletscher-Edelraute (Artemisia glacialis), welche wir nur einmal am Colle del Mulo gesehen haben. |
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Als letzte Pflanze eine Botaniker-Legende - die Berardie (Berardia subacaulis). Schon im 16. Jahrhundert wurde die Berardie vom Zürcher Botaniker Conrad Gessner abgebildet. Es handelt sich bei dieser Art um eine uralte Reliktpflanze aus der Entstehungszeit der Alpen. Die extrem seltene Pflanzenart aus der Familie der Korbblütler ist nur in den französischen und italienischen Alpen südlich des Mont Cenis anzutreffen. Als Standort bevorzugt sie Kalkschutt in Höhenlagen zwischen 1800 und 2800 Metern. Wir haben sie im Juli leider nicht blühend, sondern nur knospend angetroffen. Das Bild der blühenden Berardia stammt also nicht von mir. Die von uns gesichteten Exemplare wachsen auf den hohen Pässen Passo Bernoir und Passo di Rocca Brancia. |
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Walter Dyttrich
"Ich wurde 1947 in Wien geboren, wo ich auch die Schulen besuchte. Nach dem Betriebswirtschaft-Studium emigrierte ich 1970 in die Schweiz. Bis 2003 war ich in verschiedenen leitenden Positionen als Informatiker in Industrie, Beratung und Versicherung tätig. Die Botanik und die Musik waren aber bereits damals mein Gegenpole zur "trockenen" Arbeitswelt. Seit meiner vorzeitigen Pensionierung leite ich Wanderungen und Reisen mit Schwerpunkt Natur. Ich bin im Vorstand von Pro Natura St. Gallen tätig und betreue in dieser Funktion diverse Naturschutzgebiete. Im Botanischen Zirkel St. Gallen leite ich Exkursionen und halte Vorträge. Die Schwerpunkte meiner umfangreichen Diasammlung sind Alpenpflanzen, die mediterrane Flora sowie Südafrika." walter.dyttrich@gmx.ch |